Fahr‘ Scheinfrei

Dieser Text erschien unter dem Titel „Unsere Ziele“ zuerst auf der Webseite der Kampagne „Fahr‘ Scheinfrei“ und wurde in Die Lifestyleanarchist*in Nr. 01, 2017/2018 abgedruckt.

 

Wir wollen einen fahrscheinfreien öffentlichen Personenverkehr für alle Menschen. Eigentlich überall, aber etwas kurzfristiger wollen wir dieses Ziel vor allem in München und Region erreichen. Dabei wollen wir keinen Pflichtbeitrag aller Menschen in der Region, keine neue Steuer und keine anderen direkten Kosten für die Menschen, die den öffentlichen Personenverkehr nutzen. Stattdessen wollen wir, dass der öffentliche Personenverkehr, der auch im Moment bereits staatlich subventioniert und getragen wird, vollständig aus staatlichen Geldern finanziert wird. Wie das im Detail abläuft, dafür gibt es unterschiedliche Lösungen, so könnten beispielsweise die Kosten, die bei einer vermehrten Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und dem daraus resultierenden Rückgang des Individualverkehrsmittelaufkommens im Straßenbau eingespart werden können, dazu verwendet werden, einen fahrscheinfreien öffentlichen Personenverkehr zu realisieren.

Unabhänig davon jedoch, wie fahrscheinfreier öffentlicher Personenverkehr finanziert wird, klar ist für uns, dass endlich Schluss sein muss mit den diskriminierenden Fahrpreisen, die zahlreiche Menschen willkürlich in ihrer Mobilität einschränken. Wer sich nämlich keinen Fahrschein leisten kann und womöglich außerhalb der Zentrumsregionen wohnt oder Alternativen wie Fahrradfahren aus anderen Gründen nicht nutzen kann oder will, der*die wird vom öffentlichen Leben strukturell ausgeschlossen. Langfristig führt das zu einer Verdrängung dieser Menschen aus der Region München.

Geschuldet ist diese Entwicklung der Tatsache, dass weder Verkehrsbetriebe, noch Politik, noch die meisten Menschen überhaupt daran denken, dass Menschen durch teure Fahrscheine diskriminiert werden könnten. Zum Teil empfinden Menschen dieses Denken gar als fair. Sie argumentieren damit, dass ja alle den gleichen Beitrag zahlen müssten. In ihrem Leistungswahn vergessen diese Menschen allerdings, dass die Voraussetzungen für ein solch erhabenes Gleichheitsdenken mitnichten gegeben sind und auch, dass ein solches Denken die Menschen auch dann in den engen Grenzen einer gesellschaftlichen Norm einsperren würde.

Wir haben weder Lust uns durch gesellschaftliche Normen in unserer Entfaltung einschränken zu lassen, noch sehen wir ein, warum eine Diskriminierung von Menschen durch Fahrscheine notwendig sein soll, außer wenn sie der gezielten Unterdrückung von Menschen mit geringen oder keinen finanziellen Möglichkeiten dient. Dies wird noch einmal deutlicher, wenn mensch sich die Anzahl der Personen, die in Deutschland eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, ansieht. Ersatzfreiheitsstrafen werden dann vollzogen, wenn eine Person eine von einem Gericht verhängte, strafrechtliche Geldstrafe ganz oder teilweise nicht bezahlen kann. Anstelle der Geldstrafe muss diese Person dann in Haft. Zum Stichtag 31. August 2017 waren in Deutschland insgesamt 4700 Personen in einer Haftanstalt, weil sie eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten mussten. Das sind über 10% aller Inhaftierten. Typischerweise ist ein großer Teil dieser Inhaftierten wegen einer Geldstrafe wegen § 265a StGB („Erschleichen von Leistungen“), also fahrscheinfreiem Fahren, in einer der Strafanstalten. Zusätzlich gibt es natürlich auch Urteile, bei denen Menschen vor allem wegen wiederholtem fahrscheinfreien Fahren direkt zu Haftstrafen verurteilt werden. Die Bestrafung des fahrscheinfreien Fahrens kann dabei als ein Repressionsmittel gegen arme Menschen angesehen werden.

Wir streben mit unserem Engagement gegen Fahrscheine im öffentlichen Personenverkehr also auch eine Entkriminalisierung von Armut an. Dabei hoffen wir jedoch nicht auf die Unterstützung durch die Politik. Diese ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass es diese Kriminalisierung von Menschen, die sich keinen Fahrschein leisten können, überhaupt gibt. Wir sind jedoch der Meinung, dass wir gemeinsam dennoch in der Lage dazu sind, die Verantwortungsträger*innen dazu zu zwingen, ein sinnloses Fahrscheinsystem aufzugeben, wenn wir uns einfach alle über die Fahrscheinpflicht hinwegsetzen. Stellt euch vor, alle würden ohne Fahrkarte fahren. Würden dann alle dafür verurteilt werden? Sicher nicht. Und es gäbe noch andere Effekte: Würden alle ohne Fahrkarte fahren, würden die Verkehrsbetriebe wohl auch die Kontrollen einstellen, die bringen dann ja ohnehin nichts, und vielleicht würden die Fahrkarten dann auch endgültig abgeschafft werden.