Unser Haus, Unser Viertel, Unsere Stadt! Perspektiven linksradikaler Wohnraumpolitik

Von Für Lau Haus in Die Lifestyleanarchistin Nr. 1, 2017/2018

Zuerst veröffentlicht unter http://fuerlauhaus.blogsport.eu/texte/unser-haus-unser-viertel-unsere-stadt-perspektiven-einer-linksradikalen-wohnraumpolitik/

 

Wohnraumpolitik, das ist ein innerhalb der radikalen Linken in München inhaltlich nur sehr spärlich besetztes Thema [1]: In den wenigen Freiräumen, die sich die radikale Linke selbst über Jahre geschaffen hat, oder die von anderen geschaffen wurden, hat mensch es sich bequem gemacht. Diese Freiräume sind wichtig, das soll nicht in Frage gestellt werden, aber indem sich die radikale Linke darin verschanzt, verpasst sie auch die Teilhabe an aktueller Wohnraumpolitik und die Chance, neue Freiräume für sich selbst und andere zu schaffen. Unterdessen verschärft sich in München nicht nur die Mietsituation, sondern auch unkommerzielle Räume müssen kommerziellen weichen, Gebäude in beliebten Stadtvierteln verkommen zu Spekulationsobjekten und der Kampf gegen diese Misstände verliert sich in ebenso albernen, wie abstrakten Forderungen der Parteien, Leerstand müsse in bezahlbare Wohnungen (gemeint sind Wohnungen, die für Geringverdiener_innen vollkommen unerschwinglich sind) umgewandelt werden [2].

Die Folge sind unterschiedliche Verdrängungsprozesse: Menschen, die sich Wohnungen in der Stadt nicht (mehr) leisten können, werden immer weiter in die Außenbezirke verdrängt und diejenigen, die es schaffen, die Miete für ihre Wohnungen im Zentrum der Stadt irgendwie aufzubringen, werden dort vom sozialen Leben isoliert, weil sie sich den Aufenthalt in kommerziellen Räumen, für die entweder Eintritt bezahlt werden muss, oder in denen Konsumzwang herrscht, schlicht nicht (mehr) leisten können. Eigentlich Grund genug für linkspolitisches Engagement in diesem Bereich. Doch wo lässt sich dabei ansetzen? Fest steht: eine emanzipatorische Bewegung kann sich nicht damit begnügen, Forderungen an Politiker_innen zu stellen, sondern muss sich die eigenen Freiräume selbst erkämpfen.

Aber wie lassen sich Freiräume in München erkämpfen? Eines der wirksamsten Mittel zur Erkämpfung von Freiräumen, die Hausbesetzung, scheint dabei auszuscheiden. Die Zeiten in denen es ohne weiteres möglich war, ein Haus oder eine Wohnung zu besetzen und darin nicht nur unbehelligt zu wohnen, sondern auch nach eigenen Vorstellungen zu leben – das beinhaltet schließlich meist unweigerlich, dass es dort auch öffentliche und/oder halböffentliche Räume gibt, was wiederum bedeutet, dass das im Rahmen einer stillen Besetzung (fast) unmöglich und mit hohen Risiken verbunden wäre –, sind längst vorbei. Die sogenannte Münchner Linie [3] verhindert, dass eine Besetzung nicht nur Sympathien, sondern auch eine feste Verankerung in der Nachbarschaft aufbauen kann. Schlechte Voraussetzungen für eine Hausbesetzung und den damit verbundenen Kampf um Freiräume und Wohnraum? Oder brauchen wir nur neue Konzepte?

Eine öffentliche Hausbesetzung trotz „Münchner Linie“, das muss mensch für etwa so besonnen halten, wie mit dem Kopf gegen eine Wand zu hämmern. Sicherlich erregt das Aufmerksamkeit in der Bevölkerung und schafft eine gewisse Präsenz von wohnraumpolitischen Themen, aber die Kosten dafür sind schlichtweg zu hoch. Wer sich gegen das mit martialischem Aufgebot anrückende USK zur Wehr setzt, muss mit Gefängnisstrafen rechnen [4], wer sich widerstandslos aus dem Haus werfen lässt, muss mindestens mit einer Geldstrafe [5] rechnen. Zudem muss mensch wohl in jedem Fall mit blauen Flecken, Knochenbrüchen, Platzwunden, usw. rechnen, denn wenn mehrere Dutzend angriffslustige Bullen mit Maschinenpistolen, Kettenhemden, Schilden und Holzstangen in ein besetztes Haus stürmen, bleibt sicher kein Auge trocken. Allerdings gibt es Alternativen zu einer „echten“ Hausbesetzung, bei der die Besetzer_innen auch tatsächlich im Haus bleiben. Bei einer sogenannten Scheinbesetzung werden die Bullen in dem Haus keine Person mehr vorfinden (das schließt natürlich nicht aus, dass es ihnen erschwert wird, das Gebäude zu betreten). Haben die Besetzer_innen in dem Haus keine Spuren hinterlassen, die der Polizei eine Identifizierung ermöglichen, bleiben Sie dabei von unnötiger Repression verschont und können in aller Ruhe die nächste Aktion vorbereiten. Dabei kommt die „Münchner Linie“ den Besetzer_innen bei einer Scheinbesetzung sogar entgegen: Weil das entsprechende Gebäude innerhalb von 24 Stunden geräumt werden muss und weil die Bullen (in dieser Zeit) nie sicher sein können, dass in dem Haus tatsächlich keine Besetzer_innen auf sie warten, müssen sie in ihrer Einsatzplanung immer so planen, als gäbe es Besetzer_innen in dem Gebäude. So wird also auch bei einer Scheinbestzung ein verhältnismäßig großer Polizeieinsatz ausgelöst, was einerseits große öffentliche Aufmerksamkeit generiert und andererseits hohe Kosten verursacht. Über einen längeren Zeitraum stehen die Verantwortungsträger_innen bei der Polizei also vor der Entscheidung, die Münchner Linie aufzugeben und (Schein-)Besetzungen nicht mehr ernst zu nehmen – damit wäre die Grundlage für eine echte Besetzung geschaffen –, oder aber durch viele Scheinbesetzungen in Atem gehalten zu werden und ein Phantom zu jagen, wie es die Boulevardpresse so treffend beschrieben hat [6].

Aber zumindest auf Dauer bleiben Scheinbesetzungen eine reine Protestform gegen Missstände in der Wohnraumpolitik ohne die Menschen tatsächlich in die Lage zu versetzen, selbstbestimmt neue Freiräume und Wohnraum zu schaffen. Wenn es mit Scheinbesetzungen nicht gelingt, mehr als eine kritische Öffentlichkeit gegenüber Leerständen zu schaffen, stumpft auch diese Protestform mit der Zeit ab. Wenn es jedoch gelingt, einen größeren Teil der Menschen dazu zu inspirieren, selbst aktiv gegen Leerstände, zu hohe Mieten und lebensfeindliche Zustände für Menschen mit (zu) wenig Geld zu werden und sich dabei nicht auf Bitten gegenüber irgendeiner Obrigkeit zu beschränken, sondern selbstbestimmte Lösungen zu suchen, wird es dem Staat selbst mit den repressivsten Mitteln kaum möglich sein, sie aufzuhalten.

Neben Aktionsformen wie Scheinbesetzungen, die einen verhältnismäßig hohen Planungsaufwand erfordern und deshalb nicht ohne weiteres reproduzierbar sind bedarf es also vor allem auch niedrigschwelligen Formen des Protestes, die von allen Menschen auch ohne lange Vorbereitung reproduziert werden können. Ob kreativ oder militant, legal oder illegal, für eine große Öffentlichkeit oder nur für wenige Passant_innen sichtbar, es liegt in der Vielfalt der Aktionsformen eine Reproduzierbarkeit des Protestes zu gewährleisten.

Dabei sind die Ziele der Menschen keineswegs einheitlich, aber das müssen sie auch nicht sein. Der_die Eine kämpft für bezahlbaren Wohnraum, die_der Andere möchte kostenlos wohnen. Wieder Andere kämpfen für Freiräume und gegen eine Kommerzialisierung ihres Viertels und der ganzen Stadt.  Dabei bleibt jedoch ein gemeinsamer Nenner: Wir alle wollen mehr Teilhabe und Selbstbestimmung. Alleine werden wir nichts davon erreichen, wir werden aus unseren Wohnungen geworfen, wenn wir die steigenden Mieten nicht mehr aufbringen können, wer sollte uns dabei unterstützen diese zu behalten? Wenn wir unser Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Teilhabe jedoch als Teil eines kollektiven Interesses begreifen und uns solidarisch in unseren Kämpfen unterstützen, wenn aus der Parole „Das ist unser Haus“ mehr wird, etwa „Das ist unser Viertel“ oder „Das ist unsere Stadt“, dann stehen wir kurz davor, all unsere Interessen zu verwirklichen.

Aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Zunächst ist es wichtig, die zahlreichen Kämpfe um Wohn- und Lebensraum in unserer Stadt sichtbar zu machen. Jeder Mensch, der_die um seinen_ihren eigenen Wohn- und Lebensraum kämpft, soll sehen, dass er_sie nicht alleine ist. Geben wir unserem Protest viele Stimmen und beenden jede Verdrängung von Menschen aus unserer Stadt gemeinsam!

Anmerkungen

[1] Das soll die wichtige Arbeit, die Gruppen und Individuen in diese Richtung in den letzten Jahren geleistet haben, keinesfalls abwerten, sondern nur darauf aufmerksam machen, dass nur wenige Gruppen und Personen in den letzten Jahren zu diesem Thema gearbeitet haben.

[2] Und natürlich gibt es auch hier Ausnahmen, aber nur sehr wenige.

[3] Die sogenannte „Münchner Linie“ legt fest, dass ein besetztes Gebäude innerhalb von 24 Stunden geräumt werden soll.

[4] So passiert, als sich Lukas, Steffi und Sven Ende Juni 2007 bei einer Hausbesetzung gegen das anrückende USK verteidigten. Siehe http://hausbesetzerinnensoli.blogsport.de/

[5] In den meisten Fällen werden diese Menschen wohl eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch bekommen (vorausgesetzt, dass der_die Eigentümer_in Strafantrag deswegen stellt). Sofern die Bullen glauben, dass zum Betreten das Hauses außerdem eine Tür oder ein Fenster kaputt gemacht wurde, kann auch eine Anzeige wegen Sachbeschädigung hinzu kommen.

[6] Die Bild titelte am 02.10.2017: „Hier jagt die Polizei mal wieder den Phantombesetzer“, nachdem 45 Polizist_innen eine Scheinbesetzung des Für LⒶu Hauses geräumt hatten.