Maskulinistische Beißreflexe

Anonymer Beitrag in Die Lifestyleanarchist*in Nr. 1, 2017/2018

Dass Sexismus nach wie vor eine große Rolle auch innerhalb linksradikaler Zusammenhänge spielt ist kein Geheimnis. Wenngleich offen sexistische und antifeministische Haltungen meist sehr schnell auf Widerstand stoßen und glücklicherweise nur sehr selten geduldet werden, sind vor allem bei internalisierten Verhaltensweisen sexistische Grundstrukturen zu beobachten, die es (nicht nur) Frauen* häufig verunmöglichen, sich ihre Freiräume zu erkämpfen.

Ich schreibe diesen Text als heterosexueller cis-Mann, ich bin weiß und able-bodied und kann im Grunde nicht behaupten, von irgendeiner der beschriebenen Diskriminierungsweisen ernsthaft betroffen zu sein. Wenn ich von meinen Beobachtungen berichte, tue ich das also nicht aus dem Blickwinkel einer betroffenen Person, auch nicht aus dem Blickwinkel eines neutralen Beobachters, sondern vielmehr aus dem Blickwinkel der diskriminierenden Person. Das soll nicht bedeuten, dass ich selbst bewusst diskriminierend handele, auch nicht, dass es sich bei geschilderten Beobachtungen um mein eigenes Verhalten handelt. Vielmehr bedeutet das, dass ich aufgrund meiner Sozialisation bei vielen beobachteten Verhaltensweisen Parallelen (zum Teil auch nur in Abstufungen) zu meinem eigenen (früheren) Handeln beobachte.

Mir ist klar, dass ich weder die beschriebenen Diskriminierungsformen besser schildern kann als Betroffene, noch bedarf es meiner Meinung nach einer Vermittlung zwischen Betroffenen und Handelnden. Mein Anliegen – wenn ich diesen Text nicht ausschließlich für mich selbst schreibe – ist es, die Notwendigkeit zur Selbstkritik, der in meinen Augen nur sehr wenige Männer* – d.h. genauer diskriminierende Personen – ausreichend gerecht werden, zu unterstreichen.

Ich werde von nun an zur Verdeutlichung dessen, dass ich von Verhaltensweisen spreche, die dazu beitragen vor allem Frauen* zu diskriminieren, und die meist bei Männern* zu beobachten sind, die weibliche Form verwenden, wenn ich von der Betroffenen* spreche und die männliche Form, wenn ich von dem Handelnden*, also von der diskriminierenden Person, spreche. Die Sternchen sollen dabei gleichzeitig unterstreichen, dass es sich hier um Geschlechtszuschreibungen (in meinem Text) handelt, die keineswegs eine Allgemeingültigkeit offenbaren, und Trans-Personen, die sich im Rahmen ihrer Gender-Expression zum Teil auch entsprechende Verhaltensweisen aneignen, sichtbar machen.

Der Titel meines Textes, „Maskulinistische Beißreflexe“, bezieht sich vor allem auf die Argumentationsstrategien von Handelnden*, die ihre diskriminierenden Handlungen auf eine bestimmte Art und Weise rechtfertigen. Der Begriff Maskulinismus ist dabei nicht im Sinne der Selbstbezeichnung maskulinistischer Strömungen zu verstehen, sondern er bezieht sich auf die antifeministischen Versatzstücke in diesen Argumentationen, die sich häufig in dem Vorwurf, Feministinnen* würden Männer* unterdrücken, zuspitzen lassen. Das ist natürlich ein nur selten geäußerter Vorwurf [1], trotzdem empfinde ich diese Zuspitzung als angemessen, weil sie einer*einem die Konsequenz dieser Argumentationsstrategien vor Augen hält. Dementsprechend gebrauche ich auch den Begriff Maskulinismus, der in diesem Zusammenhang nicht ausschließt, dass der Handelnde* sich selbst als antisexistisch oder „feministisch bis zu einem gewissen Grad“ versteht.

 

Die Verhaltensweisen mit denen ich mich in diesem Text näher auseinandersetzen will, lassen sich unter der gemeinsamen Bezeichnung Raumvereinnahmendes Verhalten zusammen-fassen. Das bedeutet, dass ein Handelnder* durch sein Verhalten so viel Raum einnimmt, dass sich eine Betroffene* dadurch unwohl fühlt. Dabei kann raumeinnehmendes Verhalten sowohl den geometrischen Raum betreffen, als auch im metaphorischen Sinne gemeint sein. Ein Absolutheitsanspruch, den ein Handelnder* in seiner Argumentation für sich in Anspruch nimmt ist damit also ebenso gemeint, wie auch eine tatsächliche Inanspruchnahme des geometrischen Raumes, indem sich ein Handelnder* beispielsweise so in einem Raum platziert, dass er Durchgangswege versperrt oder auch konkret einer Betroffenen* den Zugang zu irgendetwas, das sie gerade benötigt, versperrt.

Eigentlich bin ich der Meinung, dass Raumvereinnahmendes Verhalten zur Genüge beschrieben wurde, so dass ich hier nicht alle Facetten solchen Verhaltens darlegen muss, meiner Beobachtung nach ist es jedoch keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass Handelnde* sich dessen bewusst sind, wenn sie Raum auf eine Art und Weise beanspruchen, die anderen diesen Raum streitig macht. Deshalb will ich in aller Kürze einige gängige Ausprägungen, die jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, beschreiben:

Eine sehr verbreitete Form von raumvereinnahmendem Verhalten ist die tatsächliche Beanspruchung von geometrischem Raum. Damit ist nicht gemeint, dass große Menschen dieses Verhalten grundsätzlich reproduzieren. Vielmehr geht es darum, wo Menschen sich in einem Raum positionieren, also vor allem ob sie sich eine „Ecke“ suchen, in der sie sich selbst „aufräumen“, oder ob sie sich mitten im Raum positionieren und damit notwendigerweise raumvereinnahmend wirken. Auch spielt es eine Rolle, inwiefern eine Person Wege, die eine andere Person beansprucht selbständig freigibt und inwiefern sie die Intimsphäre anderer Personen achtet.

Ebenso wie ein Handelnder* auf eine derart körperliche Weise Raum vereinnahmen kann, ist es auch möglich, akkustisch Raum einzunehmen ohne dabei körperlich besonders präsent zu sein. Besonders lautes Sprechen, vor allem aber lautes Lachen unterstreicht die Präsenz des Handelnden*. Ich persönlich fühle mich in solchen Situationen immer an Dorffeste erinnert. Mein Vater und seine Fußballfreunde* saßen bei derartigen Gelegenheiten mit ihren Frauen* [2] zusammen an einem großen Tisch. Schon nach sehr kurzer Zeit waren die Frauen* jedoch nichts weiter als Zuschauer*innen des – na ja, Gespräch kann mensch es eigentlich nicht nennen – Geschehens. Schon die Lautstärke in der sich die Männer* am Tisch etwa darüber austauschten, welche „Heldentaten“ sie beim letzten Fußballspiel vollbracht hatten, vor allem aber das alles durchdringende, lautstarke Männer*lachen, verhinderte jede Beteiligung von Personen mit einem weniger ausgeprägten Stimmorgan – das betraf auch die ein oder andere männliche* Person, vor allem aber die Frauen* – am Gespräch. Kein Wunder, dass die Frauen* als erstes von diesen Veranstaltungen flüchteten, bis die Männer* gegen Mitternacht „unter sich“ waren. Natürlich bewegt sich das Geschilderte in einer anderen Dimension, aber auch innerhalb der radikalen Linken lässt sich zum Teil wahrnehmen, dass die Beteiligung von Frauen* an Diskussionen oft nachlässt, wenn bei einigen der Gesprächsteilnehmer*innen ähnliche Verhaltensweisen feststellbar sind.

Im Zusammenhang mit dem Versuch, dominantes Redeverhalten einzubremsen, indem beispielsweise quotierte Redner*innenlisten geführt werden, ist vor allem solch akkustisches raumvereinnahmendes Verhalten seltener geworden, sobald eine Diskussion jedoch nicht mehr moderiert wird, brechen oft die alten Verhaltens-weisen wieder hervor. Aber auch bei moderierten Diskussionen ist raumvereinnahmendes Verhalten selten verschwunden. Stattdessen haben sich entsprechende Verhaltensmuster teilweise auf die Art und Weise der Argumentation verlagert. Wer als Handelnder* gegenüber seinen Ansichten keine Einwände zulässt und dabei sein Gegenüber oft sogar herabsetzt, indem er entweder statt eines Argumentes in einer Art und Weise auf seine Erfahrungen verweist, die diese stärker würdigt als die Erfahrungen anderer, oder aber für die Anwesenden absichtlich unverständliche (Schein-) Argumente verwendet, vereinnahmt zumindest methaphorisch Raum innerhalb einer Diskussion.

 

Alle diese Formen von raumvereinnahmendem Verhalten finden – zumindest in linksradikalen Kreisen – sicherlich selten bewusst und mit dem Ziel anderen Personen den Raum streitig zu machen, statt. Trotzdem lassen sie sich immer wieder beobachten und sie stehen einer Gleichberechtigung der Geschlechter entgegen. Wird ein Handelnder* jedoch mit seinem Verhalten konfrontiert, so ist seine Reaktion häufig uneinsichtig. Vor allem dann, wenn ein Handelnder* sein Verhalten verteidigt, bekommt mensch immer wieder antifeministische Versatzstücke zu hören, die ich hier als „Maskulinistischen Beißreflex“ bezeichnen möchte. Besonders Personen, die sich selbst als Antisexisten*, nicht jedoch als Feministen* bezeichnen, kennzeichnen sich häufig durch Positionen, die denen von echten Maskulinisten erschreckend nahe sind.

Die häufigste Rechtfertigung solcher Handelnder* lautet etwa: „Als Antisexist spielt Geschlecht für mich keine Rolle. Ich behandle alle Menschen, egal ob Mann* oder Frau* gleich. Deshalb handle ich auch nicht sexistisch.“ Die Bitte darum, bestimmte Verhaltensweisen zu unterlassen stößt dann meist auf Ablehnung, weil sich der Handelnde* in seiner individuellen Freiheit eingeschränkt sieht. Auch ohne den konkreten Vorwurf, dass „Feministinnen* Männer* unterdrücken“, zu äußern, verdeutlich eine solche Ansicht antifeministische Denkmuster des Handelnden*.

Natürlich ist es ein erstrebenswertes Ziel, Geschlechter zu überwinden, wer als Handelnder* jedoch Frauen* genauso wie Männer* behandelt und dabei die eigene Position ebenso wie die Position seines Gegenübers ignoriert, reproduziert genau die internalisierten Verhaltensweisen, die die momentan herrschende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern manifestieren.

Deshalb ist es notwendig, dass auch Männer* Feminismus – nicht (nur) Antisexismus – zu ihrer Angelegenheit machen: Und zwar indem sie ihre eigene Position kritisch reflektieren, den materiellen Zuständen, die in einer erheblichen Ungleichheit der Geschlechter bestehen, endlich Rechnung tragen und diese bei sich selbst nicht länger verleugnen. Ohne Empowerment von Frauen* durch Männer* kann Feminismus sonst tatsächlich nur das bedeuten, was Maskulinisten so sehr befürchten: die Unterdrückung von wenigstens all denjenigen Männern*, die sich weigern, ihre Verhaltensweisen zu überdenken, zugunsten der Gleichberechtigung von Frauen*!

Anmerkungen:

[1] Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Personen diesen Vorwurf in etwa diesem Wortlaut zur Sprache bringen. Auch von Personen, die sich selbst als „Antisexisten*“ bezeichen, kenne ich diesen Vorwurf.

[2] Ich führe die Frauen* hier bewusst als eine Art Anhang auf. Das tue ich nicht, um sie zu diskriminieren, sondern weil ich glaube, dass diese Darstellung ihre Position bei diesem Ereignis unterstreicht.

 

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