Über kommende Aufstände Teil 2

Von Anna Kistin

Dieser Artikel ist der zweite Teil meiner Artikelreihe mit dem Titel „Über kommende Aufstände“. Der erste Teil ist in Ausgabe 1 (Winter 2017/Frühjahr 2018) der Lifestyleanarchist*in erschienen (S. 19 bis 21).

„Letzte Nacht haben sie schon wieder ein Auto angezündet. Ganz in der Nähe.“ So oder so ähnlich könnte eine Unterhaltung am Küchentisch in einem beliebigen Münchner Haushalt beginnen. Je nachdem wer am Küchentisch sitzt, könnte die Stimme von Angst, Wut oder Begeisterung erfüllt sein, sie könnte das Gesagte aber auch völlig gleichgültig vortragen. Mindestens ebenso unterschiedlich könnte auch die Antwort ausfallen, wiederum abhängig davon, was der*die Sprecher*in davon hält, wenn Autos des Nachts in Flammen aufgehen. Die Reaktionen in der Presse dagegen sind eigentlich immer die Gleichen, nur der Nachdruck mit dem der*die Autor*in ihre Position vorträgt variiert von Mal zu Mal: Während die Meldungen über einen abgefackelten Bagger und ein paar in Flammen aufgegangene Kraftfahrzeuge der Immobilienbranche Anfang des Jahres für Schlagzeilen gesorgt haben, blieben viele darauffolgende Aktionen, die ebenfalls angesteckte und ausgebrannte Autos zur Folge hatten nur eine Randnotiz in den Medien. Der Ton der Nachrichten bleibt jedoch immer der Gleiche: Die abgefackelten Fahrzeuge werden als Zeugnisse einer Gewalttat gesehen, die Taten selbst werden entpolitisiert – zugegeben: politische Stellungnahmen hat es eigentlich zu keiner der Taten gegeben – und die Täter*innen als „Chaoten“, „Vandalen“ oder „irre Brandstifter“ abgestempelt.

Aber auch wenn die mediale Berichterstattung über militanten politischen Protest selbst ein interessantes Untersuchungsobjekt abgibt, will ich es bei diesen Impressionen belassen. Sie zeigen – und darum geht es mir –, dass eine explizite Auseinandersetzung mit (möglichen) politischen Hintergründen im Falle der derzeit anhaltenden Serie von Autobränden (durchschnittlich ein Auto pro Monat) ausbleibt, obwohl die Brände selbst durchaus als (links-)politisch motiviert wahrgenommen werden.

Ohne die konkreten Hintergründe der einzelnen Autobrände zu kennen will ich in diesem Artikel annehmen, dass die Autobrandserie bewusst und mit politischer Intention von einzelnen Personen oder Grupen von Personen, womöglich auch unabhängig voneinander, aber durchaus mit Bezug auf vorangegangene Brände, verübt wurde und wird. Weiter nehme ich an, dass es sich bei der Serie hauptsächlich um antikapitalistischen und herrschaftskritischen Protest gegen Gentrifizierung handelt. Dafür gibt es viele Anzeichen, beispielsweise sind vor allem Fahrzeuge betroffen, die entweder direkt auf Baustellen eingesetzt werden oder die Aufschriften von Bau- und Immobilienunternehmen tragen, auch wenn dies von der Presse zunehmend mehr verschwiegen wird. Zusätzlich gehen immer wieder Fahrzeuge von Sicherheitsunternehmen und Unternehmen die eng mit repressiven Organen des Staates zusammenarbeiten in Flammen auf.

Ich möchte die Brandserie selbst ebensowenig wie die Einzelfälle mit diesen Annahmen politisch für meine Ziele vereinnahmen. Mir geht es auch nicht darum, eine Bewertung der Brandserie und ihrer Einzelfälle vorzunehmen, sondern ich möchte mich auf die Fragen beschränken, die sich um eine generelle Eignung einer solchen Brandserie als aufständisches Mittel gegen Gentrifizierung und dadurch entstandene Herrschaftsverhältnisse drehen.

Unmittelbare Auswirkungen

Die direkten Auswirkungen eines brennenden Autos sind mehr oder weniger klar: Das Auto brennt entweder komplett aus oder der Brand wird zuvor gelöscht. Je nachdem an welcher Stelle der Brand gelegt wurde ist zumindest ein sogenannter „wirtschaftlicher Totalschaden“ beinahe sicher: Wurde der Brand an einem der Vorderreifen gelegt, ist es sehr wahrscheinleich, dass Teile des Motors zerstört werden. Wurde der Brand im Motorraum gelegt ist der Motor mit großer Wahrscheinlichkeit zerstört. Nur wenn der Brand – aus welchen Gründen auch immer – im Heckbereich des Fahrzeuges gelegt wurde oder sofort entdeckt wird, kann in der Regel ein größerer Schaden verhindert werden.

Auch die direkten finanziellen Folgen eines Brandschadens sind mehr oder weniger klar: Für das entsprechende Fahrzeug muss Ersatz beschafft werden. Das sind zum Teil nicht unerhebliche Kosten, selbst für größere Firmen nicht: Ein PKW kostet je nach Modell und Alter im Schnitt zwischen 10.000 und 50.000 Euro in der Neubeschaffung, Baufahrzeuge wie beispielsweise ein Bagger können gar mehrere hunderttausende Euro kosten. Das sind relevante finanzielle Schäden für die entweder das Unternehmen selbst oder eine Versicherung aufkommen muss.

Aber was bedeutet es für ein Unternehmen, finanzielle Aufwendungen wegen eines Fahrzeugbrandes zu haben und inwiefern ändert das das Verhalten des Unternehmens? Diese Frage lässt sich pauschalisiert kaum beantworten. Auch wird selten der Versuch unternommen, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. Das ist bedauerlich, schließlich ist diese Frage durchaus von einiger Bedeutung für das politische Potenzial der Aktionsform. Tendenziell werden vermehrte Fahrzeugbrände oder auch besonders spektakuläre Einzelfälle eines Fahrzeugbrands bei einem Unternehmen vor allem zu einer sicherheitstechnischen Aufrüstung führen: Sicherungsmaßnahmen des Fuhrparks durch Videoüberwachung, Alarmanlagen, Anweisungen Fahrzeuge nur an entsprechend überwachten Orten abzustellen, sowie die Bewachung durch Sicherheitsdienste. Langfristig werden natürlich auch die mit einem bestimmten Auftrag verbundenen Risiken ermittelt und berücksichtigt werden. Insgesamt wird sich das jedoch meist in einer Preissteigerung des Angebots, nicht in der Ablehnung eines Auftrags niederschlagen. In Einzelfällen – und vor allem bei kleineren Unternehmen – können wiederholte Fahrzeugbrände mit hohen Sachschäden sicher auch zur Insolvenz des Unternehmens führen. Gerade bei größeren Unternehmen dürfte das jedoch äußerst unwahrscheinlich sein.

Halten wir also fest: Zwar erzeugen Fahrzeugbrände mitunter großen Sachschaden bei den jeweiligen Eigentümer*innen, neben zumeist kompensierbaren finanziellen Verlusten jedoch haben diese Brände kaum unmittelbare Auswirkungen auf die Politik der Unternehmen.

Mittelbare Auswirkungen

auf eine Branche Während einzelne Unternehmen die bereits erfolgreich in der Immobilienbranche tätig sind, sich nur schwer davon abschrecken lassen dürften, auf ihrem Geschäftsfeld weiter tätig zu sein, können Brandanschläge auf Fahrzeuge von Unternehmen der Immobilienbranche oder auch Farbanschläge auf deren Büros, usw., die Branche selbst durchaus beeinträchtigen, zumindest wenn sie in der Öffentlichkeit oder relevanten Teilen davon wahrgenommen werden: Auch wenn die meisten Unternehmen an den gegen sie gerichteten Aktionen nicht zugrunde gehen, bedeuten diese dennoch relevante Gewinneinbußen für die Unternehmen selbst oder deren Auftraggeber*innen. Diese entstehen durch die finanziellen Schäden selbst, aus resultierenden Verzögerungen eines Auftrags oder auch nur der difusen Angst der Investor*innen vor finanziellen Einbußen. Letztere ist es vor allem, die wohl die größten Auswirkungen auf die Branche hat: Ohne Investor*innen sind nämlich die meisten Bauprojekte kaum möglich. Sollte sich also herumsprechen, dass Gentrifizierungsgegner*innen mit gezielten Aktionen gegen Immobilienspekulationen vorgehen, macht es diese weniger lukrativ. Das bedeutet die Branche verliert mittelfristig an Bedeutung.

Fragen zur Zielsetzung und deren Erreichbarkeit

Das bringt uns jedoch bereits zu einem großen Problem der Aktionsform: Die Abhängigkeit von der Presse: Werden die Aktionen nicht wahrgenommen oder entpolitisiert, wie das zumeist der Fall ist, bleiben sie weitestgehend wirkungslos: Sicher mindern sie die Gewinnspanne einiger Unternehmen, aber nicht in dem Ausmaß, dass die Lukrativität der Branche gefährdet wird. Aus politischer Sicht macht das kaum Sinn, vielmehr müsste mensch bei den Aktionen dann von einer Art Rachemotiv sprechen. Aber Rache wofür? Dafür, dass eine andere Person im kapitalistischen System besser dasteht, als mensch selbst? Der strukturelle Antisemitismus lässt grüßen! Mit radikalem, herrschaftskritischen Aktionismus hätte das also wenig zu tun.

Doch geht es nicht um mehr? Geht es nicht auch darum, Widerstand sichtbar zu machen? Darum, die eigene Ohnmacht zu durchbrechen, individuelle Freiheit zu erlangen? Vielleicht. Aber wo wird Widerstand sichtbar gemacht? Letztlich bleibt es ein kleiner Kreis von Menschen, der die Aktionen und die dahinter stehenden Beweggründe nachvollziehen kann. Und was die individuelle Freiheit angeht: Ist es nicht ein reaktionäres Feindbild, dass da in den Köpfen derer herumspukt, die glauben ihre individuelle Freiheit gegen einige Unternehmen, deren Handlungen sie für besonders unethisch halten, verteidigen zu müssen? Ist das nicht überhaupt nur eine Projektion gesellschaftlicher Zwänge auf Individuen oder wie in diesem Fall einzelne Institutionen?

Ich glaube all diese Fragen lassen sich nicht isoliert von der Frage nach dem absehbaren Erfolg einer Aktion und damit ihrem politischen Nutzen beantworten: Unser Ziel ist es, die bestehende Gesellschaft in eine freie Gesellschaft ohne Herrschaft zu verwandeln. Dabei ist es wichtig, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse nachhaltig abzuschaffen, statt sie zunächst in eine andere Form zu überführen mit dem Versprechen sie zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sie nicht mehr notwendig seien, abzuschaffen. Klar ist, dass die Abschaffung von Herrschaft nicht ohne Gegenwehr über die Bühne gehen wird. Bestehende Herrschaftsverhältnisse werden mit Gewalt aufrechterhalten werden. Gewalt kann dabei jedoch auch das Mittel sein, Herrschaftsverhältnisse zu durchbrechen.

Ein Auto anzuzünden ist letzten Endes Gewalt. Ebenso wie auch die kapitalistischen Verhältnisse für diejenigen, die durch sie hungern, verdrängt werden oder gar sterben, Gewalt sind. Die Verdrängung von Menschen im Zuge der Gentrifizierung eines Viertels ist Herrschaft, aber wenn aus Protest gegen diese Herrschaft ein Auto angezündet wird, bedeutet das nicht, dass das automatisch Gewalt zur Durchbrechung dieser Herrschaftsverhältnisse ist. Wenn ein angezündetes Auto jedoch nicht der Durchbrechung von Herrschaftsverhältnissen dient, ist es nichts anderes als eine andere Form der Herrschaft. Damit erübrigen sich dann auch alle Fragen nach individueller Befreiung: Individuelle Befreiung durch Herrschaft gegenüber anderen? Klingt komisch, oder?

 

Es ist also wichtig, dass brennende Autos auch dazu beitragen, die damit kritisierten Zustände tatsächlich zu ändern. Das ist derzeit nicht absehbar. Insgesamt sind es zu wenige Fälle die zugleich kaum Beachtung in der Öffentlichkeit finden, also kaum geeignet sind, einen kollektiven und damit wirksamen Protest gegen Gentrifizierung anzustoßen. Gleichzeitig ist der durch die Brände generierte Schaden nicht groß genug, um potenzielle Investor*innen davon abzubringen, in Bauprojekte zu investieren.

Dabei wären die Voraussetzungen der Protestform gar nicht so schlecht, um tatsächlich eine Änderung der Verhältnisse zu erzwingen: Beinahe Jede*r ist potenziell in der Lage dazu ein Auto anzuzünden (auch spurenfrei). Der Schaden, der mit einer einzigen Aktion erzielt wird, ist relativ groß. Schon verhältnismäßig wenige Aktionen – mehr jedoch als momentan – könnten ausreichen, um finanziell relevante Einbußen zu generieren.

Was also müsste passieren? Entweder müsste die Aktionsform „Autos anzünden“ bei mehr Menschen Anklang finden und von ihnen auch praktiziert werden: Dann wäre möglicherweise der finanzielle Schaden, der den kapitalistischen Akteur*innen dadurch entsteht, von realer Bedeutung. Das würde betreffende Branchen deutlich weniger lukrativ machen. Mithilfe von Gewalt (dem Anzünden von Autos) wäre dann also eine andere, strukturelle Gewalt, nämlich die Ver-drängung von Menschen zumindest verringert worden und mensch könnte von einer gegen Herrschaft gerichteten Gewalt sprechen.

Eine andere Alternative, die möglicherweise auch ganz nebenbei die Beliebtheit der Aktionsform „Auto anzünden“ steigern könnte, wäre eine Erklärung der Aktionen gegenüber der Öffentlichkeit. Viele Aktionen werden gegenüber der Öffentlichkeit mit einem Bekenner*innenschreiben erläutert, in dem die Gründe für die Aktion dargelegt werden. Im Falle von Straftaten, die einen hohen Ermittlungsdruck erwarten lassen und die zugleich mit sehr hohen Haftstrafen bedroht sind ist das jedoch ein Problem: Aus Bekenner*innenschreiben können ungewollt Hinweise auf den*die Verfasser*in hervorgehen. Damit ist das Risiko, dem mensch sich dabei aussetzt deutlich höher, als wenn mensch seine*ihre Aktionen nicht erklärt. Doch es gibt Alternativen: Im Grunde kann jede*r mögliche Hintergründe eines Brandanschlags erläutern – auch ohne eine bestimmte Aktion politisch für sich zu vereinnahmen. Vielleicht wäre das ein Weg, um die Aktionsform des „Auto anzündens“ vermittelbar zu machen.